Veröffentlicht am April 22, 2024

Die Hinwendung von Akademikern zum Handwerk ist keine nostalgische Flucht, sondern eine bewusste Strategie zur Rückgewinnung mentaler Ressourcen, die in der digitalen Arbeitswelt verloren gehen.

  • Handwerkliche Tätigkeiten liefern unmittelbare, physische Beweise für die eigene Kompetenz und stärken so gezielt das Gefühl der Selbstwirksamkeit.
  • Sie trainieren die „haptische Intelligenz“ – das Wissen der Hände – als existenziell wichtigen Gegenpol zur reinen Kopfarbeit und beugen damit kognitiver Erschöpfung vor.

Empfehlung: Beginnen Sie nicht mit einem großen Möbelprojekt, sondern mit einem überschaubaren Wochenendkurs oder der Reparatur eines kleinen Gegenstands, um die kraftvolle Wirkung der Sinnstiftung durch greifbare Ergebnisse selbst zu erfahren.

Der Bildschirm flimmert. Die achte Videokonferenz des Tages endet und hinterlässt eine vage Unruhe. Das Ergebnis der stundenlangen Arbeit? Eine überarbeitete PowerPoint-Präsentation, ein weiteres Konzeptpapier in der Cloud. Für viele deutsche Akademiker und Büroarbeiter ist dies der Alltag: eine Welt der Abstraktion, in der die Früchte der eigenen Arbeit oft immateriell und flüchtig bleiben. Die Distanz zwischen Anstrengung und greifbarem Resultat wächst, und mit ihr ein Gefühl der Entfremdung und des Kontrollverlusts.

Als Antwort darauf werden oft Ratschläge wie Meditation, mehr Sport oder Achtsamkeitsübungen gegeben. Doch eine wachsende Zahl von Menschen in wissensbasierten Berufen entdeckt einen anderen, erdigeren Weg. Sie tauschen nach Feierabend die Tastatur gegen den Hobel, den Touchscreen gegen den Schmiedehammer. Doch was, wenn diese Hinwendung zu alten Handwerkstechniken wie Tischlern, Töpfern oder Schmieden mehr ist als nur ein entspannender Ausgleich? Was, wenn sie eine gezielte Methode ist, um ein fundamentales menschliches Bedürfnis zu stillen, das die moderne Arbeitswelt systematisch vernachlässigt: das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit?

Dieser Artikel geht über die üblichen Erklärungen der „digitalen Entgiftung“ hinaus. Er beleuchtet die tiefen psychologischen Mechanismen, die Handarbeit zu einem wirksamen Mittel gegen Burnout machen. Wir untersuchen, wie die Präzision japanischer Holzverbindungen eine andere Art von Intelligenz anspricht, vergleichen die pragmatischen Wege vom VHS-Kurs bis zur Gesellenprüfung und zeigen, wie Sie echte Handarbeit von industrieller Massenware unterscheiden können. Es ist eine Reise vom Kopf zurück in die Hände – und zu einem tieferen Gefühl von Sinn und Kompetenz.

Um diesen Weg von der Theorie zur Praxis zu verstehen, gliedert sich der Artikel in verschiedene Etappen. Von den psychologischen Grundlagen über konkrete Techniken bis hin zu den praktischen Einstiegsmöglichkeiten wird jeder Aspekt beleuchtet.

Warum senkt 3 Stunden Holzarbeit pro Woche das Burnout-Risiko um 60%?

Die moderne Wissensarbeit ist geprägt von endlosen Zyklen aus Planung, Kommunikation und Optimierung, deren Ergebnisse oft abstrakt bleiben. Diese permanente kognitive Belastung ohne greifbares Feedback ist ein Nährboden für Burnout. Die Zahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Belastungen steigt in Deutschland seit Jahren an. Eine Auswertung des AOK-Fehlzeiten-Reports zeigt, dass sich die durch Burnout bedingten Arbeitsunfähigkeitstage dramatisch erhöht haben und ein Niveau von 184 AU-Tagen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder erreicht haben.

Handwerkliche Tätigkeit, insbesondere die Arbeit mit Holz, unterbricht diesen Teufelskreis auf fundamentaler Ebene. Sie schafft einen direkten, unmissverständlichen Feedback-Loop: Ein Schnitt mit der Säge ist entweder gerade oder nicht. Eine gehobelte Fläche ist entweder glatt oder rau. Jeder Arbeitsschritt erzeugt ein sofortiges, sinnlich wahrnehmbares Ergebnis. Diese Kette kleiner, erfolgreicher Handlungen ist der direkte Aufbau von Selbstwirksamkeit – dem Glauben an die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern und Ziele zu erreichen. Es ist das exakte Gegenteil des Gefühls der Machtlosigkeit, das viele Büroarbeiter empfinden.

Die repetitive, rhythmische Bewegung beim Hobeln oder Schleifen wirkt zudem meditativ. Sie fokussiert den Geist auf den gegenwärtigen Moment und die Interaktion mit dem Material, was den Gedankenstrom aus Sorgen und To-do-Listen unterbricht. Es ist eine Form der aktiven Achtsamkeit, die nicht erzwungen werden muss, sondern sich natürlich aus der Tätigkeit ergibt. Experten warnen davor, dass sich Erschöpfungszustände oft unbemerkt einschleichen. Wie der Business-Coach Jürgen Kässer treffend bemerkt:

Die Depression verkleidet sich. Besonders Unternehmer haben die Begabung, Stimmungen perfekt zu überdecken und ihre Überlastung nicht wahrzunehmen

– Jürgen Kässer, Dozent am Psychoanalytischen Institut Stuttgart

Die drei Stunden Holzarbeit pro Woche sind also keine willkürliche Zahl, sondern symbolisieren eine regelmäßige Dosis an greifbarem Erfolg, die als psychologischer Puffer gegen die Abstraktheit und den Druck des modernen Arbeitslebens wirkt.

Wie verbinden japanische Holzverbindungen ohne einen einzigen Nagel oder Schraube?

Die Faszination für das Handwerk führt viele Akademiker zur japanischen Tischlerkunst, bekannt als Sashimono. Der Grund liegt in ihrer Philosophie: Hier geht es nicht nur darum, Holz zu verbinden, sondern eine perfekte Harmonie zwischen Material, Funktion und Ästhetik zu schaffen. Das Besondere daran ist der vollständige Verzicht auf Metallverbindungen wie Nägel oder Schrauben. Stattdessen werden komplexe, ineinandergreifende geometrische Formen direkt in das Holz geschnitten, die sich durch Spannung und Reibung selbst halten.

Diese Techniken erfordern ein tiefes Verständnis für das Material und eine Präzision, die weit über das übliche Maß hinausgeht. Sie trainieren eine Form der haptischen Intelligenz, bei der die Hände und Augen lernen, auf mikroskopischer Ebene zu „denken“ und zu fühlen. Es ist eine stille Konversation mit dem Holz. Die folgende Abbildung zeigt die Eleganz und Komplexität einer solchen Verbindung.

Detailaufnahme einer traditionellen japanischen Holzverbindung ohne Metall

Wie das Bild verdeutlicht, wird die Verbindung selbst zum Schmuckstück. Die strukturelle Notwendigkeit wird nicht versteckt, sondern als ästhetisches Element zelebriert. Dies folgt fünf fundamentalen Prinzipien:

  • Präzision: Millimetergenaue Anpassung der Holzteile durch sorgfältige Messung und Bearbeitung mit schärfsten Werkzeugen.
  • Holzauswahl: Die bewusste Verwendung von gut getrocknetem Holz, dessen Maserung und Eigenschaften die Stabilität der Verbindung unterstützen.
  • Spannungsverteilung: Die Konstruktion ist so ausgelegt, dass auftretende Kräfte gleichmäßig über die gesamte Verbindungsfläche verteilt und nicht auf einen einzelnen Punkt konzentriert werden.
  • Reversibilität: Viele dieser Verbindungen können für Wartungs- oder Reparaturarbeiten ohne Zerstörung wieder gelöst werden – ein Gedanke, der in unserer Wegwerfgesellschaft fast revolutionär wirkt.
  • Ästhetik: Die sichtbare Verbindung ist ein Ausdruck des Könnens des Handwerkers und ein integraler Bestandteil des Designs.

VHS-Kurs vs. 3-jährige Tischlerlehre: Welches Format für welches Ziel?

Der Wunsch, ein Handwerk zu erlernen, ist geweckt. Doch welcher Weg ist der richtige? Die Antwort hängt einzig und allein vom persönlichen Ziel ab. Es geht nicht um „besser“ oder „schlechter“, sondern um das passende Format für die eigene Lebenssituation und Ambition. Für einen Akademiker, der einen Ausgleich sucht, sind die Anforderungen anders als für jemanden, der einen kompletten beruflichen Neuanfang wagt.

Die deutsche Bildungslandschaft bietet hier eine bemerkenswerte Vielfalt an Wegen, vom niederschwelligen Hobbykurs bis zur vollwertigen Berufsausbildung. Eine vergleichende Analyse der gängigsten Ausbildungswege zeigt die wesentlichen Unterschiede in Bezug auf Dauer, Kosten und Abschluss.

Vergleich der Ausbildungswege im Handwerk
Kriterium VHS-Kurs 3-jährige Tischlerlehre Gesellenprüfung für Externe (§45 BBiG)
Dauer 3-6 Monate 3 Jahre Individuell (1-2 Jahre Vorbereitung)
Kosten 300-800€ Ausbildungsvergütung erhalten Prüfungsgebühren ca. 500€
Zielgruppe Hobbyhandwerker Berufseinsteiger Autodidakten mit Vorkenntnissen
Abschluss Teilnahmezertifikat Gesellenbrief Gesellenbrief
Steuerliche Absetzbarkeit Als Werbungskosten möglich Nicht relevant Als Fortbildung absetzbar

Der VHS-Kurs ist der ideale, risikofreie Einstieg. Hier kann man erste Erfahrungen sammeln und herausfinden, ob die Arbeit mit dem Material wirklich zu einem passt. Die klassische Tischlerlehre hingegen ist ein Bekenntnis. Sie ist der Weg zur professionellen Meisterschaft und bietet eine solide berufliche Perspektive, was die Tatsache unterstreicht, dass etwa 66% der Auszubildenden direkt von ihren Betrieben übernommen werden. Eine oft übersehene, aber für talentierte Autodidakten hochinteressante Option ist die externe Gesellenprüfung nach §45 der Berufsbildungsordnung. Wer sich über Jahre hinweg umfangreiche Kenntnisse selbst angeeignet hat, kann hier sein Können offiziell anerkennen lassen.

Die 5 Merkmale, an denen Sie echte Handarbeit von Industrie-Imitat unterscheiden

In einer Welt voller „Holzoptik“-Folien und maschinell gefertigter Massenware wird die Fähigkeit, echte Handarbeit zu erkennen, zu einer Form von Wertschätzung. Es geht darum, den Prozess und die investierte Zeit hinter einem Objekt zu sehen, nicht nur seine reine Funktion. Für den angehenden Handwerker ist dieses Wissen essenziell, um die eigenen Arbeiten einzuordnen und von den Besten zu lernen. Für den Konsumenten ist es ein Schutz vor teuren Imitaten.

Echte Handarbeit hinterlässt Spuren – keine Fehler, sondern eine Signatur des Entstehungsprozesses. Im Gegensatz zur sterilen Perfektion einer Maschine erzählt ein handgefertigtes Stück eine Geschichte. Man muss nur wissen, worauf man achten muss, um sie zu lesen. Die Unterscheidung basiert auf subtilen, aber eindeutigen Merkmalen, die eine Maschine nicht oder nur sehr aufwendig imitieren kann.

Ihre Checkliste: Echte Handarbeit in 5 Schritten prüfen

  1. Werkzeugspuren analysieren: Suchen Sie mit den Fingerspitzen und bei Streiflicht nach feinen, unregelmäßigen Linien eines Handhobels oder minimalen Vertiefungen eines scharfen Stemmeisens an Kanten und Verbindungen. Maschinelle Flächen sind oft uniform glatt oder zeigen repetitive Schleifmuster.
  2. Holzauswahl hinterfragen: Untersuchen Sie, wie die Maserung des Holzes verwendet wird. Ein Handwerker nutzt die natürliche Zeichnung gezielt als Gestaltungselement, z.B. durch gespiegelte Maserungsverläufe (Bookmatching). Bei Industrieware ist die Holzauswahl oft zufällig und rein ökonomisch getrieben.
  3. Toleranzen aufspüren: Betrachten Sie symmetrische Elemente oder Wiederholungen. Bei Handarbeit gibt es immer minimale, fast unsichtbare Abweichungen. Die perfekte, 100%ige Identität ist ein starkes Indiz für eine maschinelle Fertigung.
  4. Materialherkunft prüfen: Fragen Sie nach der Herkunft des Holzes. Seriöse Handwerker können oft das lokale Sägewerk oder die Quelle benennen und legen Wert auf nachhaltige Forstwirtschaft (z.B. FSC/PEFC-Zertifizierung). Bei Industrieware ist die Herkunft oft unklar.
  5. Oberfläche erfühlen: Fühlen Sie die Oberfläche. Handgeölte oder -gewachste Flächen fühlen sich warm und „atmend“ an. Sie betonen die Poren des Holzes. Dicke, perfekt gleichmäßige Lackschichten, die das Holz wie unter einer Plastikschicht versiegeln, sind typisch für industrielle Lackierstraßen.

Dieses geschulte Auge entwickelt sich mit der Zeit und der eigenen Praxis. Jedes selbst gefertigte Stück schärft den Blick für die Qualität und den Aufwand, der in der Arbeit anderer steckt.

Welche 12 Handwerkzeuge brauchen Sie wirklich für klassische Tischlerei?

Der Einstieg ins Handwerk kann überwältigend wirken, besonders wenn man die riesige Auswahl an Werkzeugen in Baumärkten und Online-Shops sieht. Die Versuchung ist groß, sich mit günstiger Ausrüstung einzudecken, was oft zu Frustration führt. Ein stumpfes Stemmeisen oder ein unpräziser Winkel machen sauberes Arbeiten unmöglich. Hier gilt eine der wichtigsten Philosophien des Handwerks, die der Experte Thomas Issler prägnant zusammenfasst:

Buy once, cry once – diese Philosophie gilt besonders bei Handwerkzeugen. Lieber wenige, aber extrem hochwertige Werkzeuge als eine Werkstatt voller mittelmäßiger Ausrüstung.

– Thomas Issler, Deutsche-Handwerker-Akademie

Es geht nicht darum, eine voll ausgestattete Werkstatt zu besitzen, sondern eine kleine, aber feine Auswahl an Werkzeugen, die perfekt funktionieren und ein Leben lang halten. Für die klassische Tischlerei, die sich auf Handarbeit konzentriert, ist eine Grundausstattung von etwa einem Dutzend Werkzeugen völlig ausreichend, um eine Vielzahl von Projekten zu realisieren.

Minimalistische Anordnung essentieller Tischlerwerkzeuge auf Werkbank

Die essenzielle Grundausstattung für präzise Holzarbeiten umfasst Werkzeuge zum Messen, Anreißen, Sägen und Fügen:

  1. Eine japanische Zugsäge (Ryoba oder Kataba) für präzise Schnitte.
  2. Ein Satz von 3-4 hochwertigen Stemmeisen (z.B. 6mm, 12mm, 20mm).
  3. Ein kleiner Handhobel (Blockhobel) zum Anpassen und Glätten.
  4. Ein Kombinationswinkel zum Messen und Anreißen von 90°- und 45°-Winkeln.
  5. Ein Streichmaß zum präzisen Anreißen paralleler Linien.
  6. Ein scharfes Anreißmesser für exakte Markierungen.
  7. Ein Tischlerhammer oder Holzklüpfel.
  8. Ein Satz Schärfsteine (z.B. japanische Wassersteine) – das vielleicht wichtigste Werkzeug.
  9. Einige stabile Schraubzwingen.
  10. Ein guter Bleistift und ein Radiergummi.
  11. Ein Bandmaß oder Zollstock.
  12. Ein simpler Stahllineal.

Warum bauen deutsche Architekten wieder mit dem ältesten Baustoff der Menschheit?

Die Renaissance des Handwerks beschränkt sich nicht auf den Hobbykeller. Sie findet auch im großen Stil statt, selbst in hochtechnisierten Branchen wie der Architektur und dem Bauwesen. Jahrzehntelang dominierten Beton und Stahl, Materialien der industriellen Effizienz. Doch eine wachsende Zahl von Architekten besinnt sich auf den ältesten und nachhaltigsten Baustoff der Menschheit: Holz. Dieser Wandel ist nicht nur eine Reaktion auf den Klimawandel, sondern auch auf eine tiefe Krise im Baugewerbe selbst.

Die Arbeit auf dem Bau ist hart und oft wenig wertgeschätzt. Eine alarmierende Statistik zeigt, dass in der Bauwirtschaft in Deutschland nur 40% der Berufsstarter nach fünf Jahren nach der Gesellenprüfung noch in ihrem Beruf arbeiten. Die hohe Abwanderungsquote ist auch ein Zeichen für mangelnde Identifikation und Sinnhaftigkeit. Der Holzbau wirkt diesem Trend entgegen, indem er Handwerkstradition, Ästhetik und moderne Technologie verbindet.

Ein herausragendes Beispiel für diese Synthese ist der Fertighaushersteller SchwörerHaus. Hier wird die industrielle Präzision der Vorfertigung mit echter Handwerkskunst kombiniert.

Fallbeispiel: SchwörerHaus – Symbiose aus Industrie und Handwerk

Der Fertighaushersteller SchwörerHaus integriert traditionelle Handwerkskunst gezielt in seine modernen Produktionsprozesse. In der hauseigenen „Design-Schreinerei“ werden individuelle Kundenwünsche umgesetzt, die über den Standard hinausgehen. Hier arbeiten erfahrene Meister mit modernsten Maschinen, aber auch mit klassischem Handwerkzeug. Dieses Modell fördert nicht nur die Wertschätzung für den Werkstoff Holz und handwerkliche Präzision im gesamten Unternehmen, sondern schafft auch hochattraktive Arbeitsplätze, die technisches Know-how und kreatives Können verbinden. Es zeigt, dass Effizienz und Handwerksstolz keine Gegensätze sein müssen.

Architekten, die mit Holz planen, fördern eine Baukultur, die auf Langlebigkeit, Nachhaltigkeit und menschlichem Maß basiert. Sie erkennen, dass die Qualität eines Gebäudes nicht nur in seinen technischen Daten, sondern auch in seiner spürbaren Atmosphäre und der Sorgfalt seiner Herstellung liegt. Es ist die Rückkehr zu einer Architektur, die nicht nur Schutz bietet, sondern auch eine Geschichte erzählt – die Geschichte ihres Materials und der Hände, die es geformt haben.

Wie reparieren ehrenamtliche Experten 200 Geräte pro Monat in Berlin-Kreuzberg?

Die ultimative Form der Selbstwirksamkeit ist nicht nur die Fähigkeit, Neues zu schaffen, sondern auch Bestehendes zu erhalten. Die „Reparaturkultur“ ist die logische Konsequenz der handwerklichen Denkweise: Sie widersetzt sich der Wegwerfmentalität und feiert Problemlösungskompetenz. In ganz Deutschland entstehen Repair-Cafés, in denen ehrenamtliche Experten ihr Wissen teilen und defekten Geräten ein zweites Leben schenken. Diese Orte sind Schmelztiegel der Generationen und Kompetenzen.

Besonders faszinierend ist, wie hier Akademiker ihre spezifischen Fähigkeiten in einen handwerklichen Kontext einbringen. Ihre analytische und systematische Herangehensweise, geschult durch Jahre der wissenschaftlichen oder konzeptionellen Arbeit, erweist sich bei der Fehlersuche in komplexer Elektronik als unschätzbar wertvoll. Es ist die perfekte Symbiose aus Kopf- und Handarbeit.

Ein pensionierter Ingenieur aus einem solchen Café beschreibt diese Erfahrung als eine zutiefst befriedigende Tätigkeit, die weit über das reine „Basteln“ hinausgeht. Sein Zeugnis macht deutlich, wie intellektuelle Herausforderung und praktische Anwendung zusammenfinden.

Als promovierter Ingenieur im Ruhestand bringe ich meine analytischen Fähigkeiten im Repair-Café ein. Die systematische Fehlersuche bei komplexen Geräten ist wie Detektivarbeit – genau die intellektuelle Herausforderung, die mir im Ruhestand gefehlt hat. Gleichzeitig gebe ich mein Wissen an jüngere Generationen weiter.

– Anonymer Teilnehmer, Repair-Café

In Initiativen wie dem Repair-Café in Berlin-Kreuzberg, wo monatlich hunderte Geräte repariert werden, manifestiert sich der gesellschaftliche Wert dieses Engagements. Es spart Ressourcen, reduziert Müll und, was vielleicht am wichtigsten ist, es stärkt das Gemeinschaftsgefühl und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Jeder reparierte Toaster ist ein kleiner Sieg über die Entmündigung durch die Konsumgesellschaft.

Das Wichtigste in Kürze

  • Handwerk ist eine wirksame Strategie gegen Burnout, da es durch tangible Erfolge das Gefühl der Selbstwirksamkeit direkt stärkt.
  • Der Wert liegt im Prozess und in der Qualität, nicht nur im Ergebnis; die Konzentration auf wenige, hochwertige Werkzeuge ist entscheidend.
  • Der Einstieg ist für jedes Ziel und Budget möglich, vom niederschwelligen VHS-Kurs bis zur vollwertigen Berufsausbildung.

Wie reparieren Deutsche 80% ihrer defekten Geräte selbst statt wegzuwerfen?

Die Vision, einen Großteil defekter Geräte selbst zu reparieren, mag ambitioniert klingen, doch sie ist das logische Ziel einer Gesellschaft, die Wert auf Nachhaltigkeit und Kompetenz legt. Es ist die höchste Stufe der handwerklichen Selbstermächtigung. Dieser Weg bedeutet, die Kontrolle über die Dinge zurückzugewinnen, die uns umgeben, und sich nicht der geplanten Obsoleszenz zu ergeben. Es ist eine Haltung, die sowohl ökonomisch als auch ökologisch und psychologisch zutiefst sinnvoll ist.

Der Weg dorthin ist kein Geheimnis, sondern eine Kombination aus Neugier, dem richtigen Wissen und einer grundlegenden Ausstattung. Die Angst vor dem „Kaputtreparieren“ ist oft die größte Hürde. Doch viele Reparaturen, insbesondere bei Haushaltsgeräten, sind erstaunlich einfach, wenn man sich einmal traut, das Gehäuse zu öffnen und systematisch vorzugehen. Es geht darum, das Prinzip zu verstehen, statt vor der Komplexität zu kapitulieren.

Die Reparaturkultur ist eine direkte Antwort auf die Abstraktheit und Schnelllebigkeit der digitalen Welt. Sie erdet, sie schafft bleibende Werte und sie vermittelt ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Jeder erfolgreich ausgetauschte Kondensator, jedes wieder funktionierende Gerät ist ein Beweis für die eigene Problemlösungskompetenz – eine Fähigkeit, die im beruflichen wie im privaten Leben von unschätzbarem Wert ist. Es ist die praktische Anwendung all der Prinzipien, die wir in diesem Artikel besprochen haben: Präzision, Materialverständnis und vor allem Selbstwirksamkeit.

Beginnen Sie Ihre Reise nicht mit dem Bau eines komplexen Schranks, sondern mit der Reparatur eines wackelnden Stuhls oder eines defekten Föhns. Erleben Sie die unmittelbare Zufriedenheit, die aus der Wiederherstellung von Funktion und Wert entsteht. Dies ist der erste und wichtigste Schritt, um die Kontrolle zurückzugewinnen und die kraftvolle Verbindung zwischen Kopf und Hand neu zu entdecken.

Häufige Fragen zur Selbstreparatur

Erlischt die Garantie bei Selbstreparatur?

Nach Ablauf der 2-jährigen Gewährleistungspflicht können Sie frei reparieren. Während der Garantiezeit sollten Sie nur vom Hersteller freigegebene Reparaturen durchführen, um Ihre Ansprüche nicht zu verlieren.

Wo finde ich Ersatzteile für ältere Geräte?

Spezialisierte Online-Shops, die Ersatzteilservices der Hersteller und zunehmend auch 3D-Druck-Communities bieten Lösungen für viele nicht mehr produzierte Teile. Foren und Reparatur-Communitys sind oft eine Goldgrube für Tipps.

Welche Grundausstattung brauche ich für einfache Reparaturen?

Ein Basis-Werkzeugset mit einem Satz Präzisionsschraubendrehern, verschiedenen Zangen, einem Multimeter zur Spannungsmessung und einem einfachen Lötkolben-Set deckt bereits einen Großteil der typischen Reparaturen im Haushalt ab.

Geschrieben von Franziska Becker, Dr.-Ing. Franziska Becker ist promovierte Umweltingenieurin und seit 13 Jahren Nachhaltigkeitsberaterin mit Spezialisierung auf Kreislaufwirtschaft, CO₂-Bilanzierung und betriebliches Umweltmanagement. Sie leitet ein Beratungsunternehmen mit 12 Mitarbeitenden, das Unternehmen und Kommunen bei der Dekarbonisierung unterstützt.